Lutz Gaebel | Fotogruppe Bremen

Polarlichter im ersten Versuch

 

Erfahrungsbericht von einem, der auszog das Nordlicht zu finden.

„Die Polarlichter sind in natura nicht so, wie man sie auf den Fotos sieht.“ Das ist ja schon mal eine Aussage. Ich bekomme sie immer wieder zu hören, wenn ich über meine Pläne für die diesjährige Herbstreise spreche. Daraus folgt, ich habe zwei Wünsche für dieses Jahr. Ich will das Nordlicht beobachten und ich will Fotos vom Nordlicht machen.

Wie die Fotos aussehen sollten, schaue ich mir an den vielen Bildern im Internet an. Wie das Beobachten ausfällt, kann mir keiner vorher sagen.

Als Technik- und Planungsfreak stöber ich vor der Reise nach Nordschweden in diversen Internetseiten, kann mir aber nun wirklich nicht alle Einzelheiten merken. Eine Sache ist aber für die Planung extrem wichtig. Die Reise sollte im Winterhalbjahr erfolgen. Das Polarlicht ist physikalisch zwar das ganze Jahr da, nur im Sommer sieht man es nicht, weil auch in der Nacht die Sonne scheint oder es nicht dunkel genug ist, die sog. weißen Nächte. Eine andere Sache macht mich dann doch recht stutzig. Da wird auf einer Internetseite zum Thema Polarlichtvorhersage unterschieden zwischen fotografisch sichtbar und sichtbar. Damit kann ich zunächst nichts anfangen, nach meiner Reise bin ich schlauer.

An Fotoequipment nehme ich erstmal alles mit, was ich habe. Wichtig ist, so habe ich es mir sagen lassen, ein lichtstarkes Superweitwinkelobjektiv, ein Stativ und eine Systemkamera oder DSLR mit Fernauslöser. Was ich zunächst nicht dabei habe, ist Geduld. Wann kommt es denn nun. Die Aurora-App wird unverzichtbar und täglich strapaziert. Und was ist? Nix ist.

Dann, wie aus dem Nichts, brummt das Smartphone, Polarlichtalarm. Wir stehen gut mit dem Wohnmobil, irgendwo im Nirgendwo, die nächste Straßenlaterne ist bestimmt 7 km entfernt.

Es ist halb elf am Abend also raus in die Nacht und ich sehe nichts. Weder am Himmel noch am Boden. Es ist stockdunkel. Ohne Taschen- oder Kopflampe geht gar nichts und ohne Kamera offensichtlich auch nichts. Also her damit, so wie sie in der Tasche liegt und ich sehe immer noch nichts. Äh, wie waren jetzt nochmal die empfohlenen Einstellungen? M-Modus, nicht mehr als 13 sec., größte Blende, manuell auf unendlich fokussieren und möglichst weitwinkelig. Ach ja und ISO 6400, man soll sich ja herantasten. An der Kamera ist natürlich nichts von dem eingestellt und jetzt steh ich da, mit der Taschenlampe zwischen den Zähnen, und versuche alle Einstellungen irgendwie hinzu bekommen. Also Kopflampe ist doch die bessere Wahl, die liegt aber im Wohnmobil. Und wo ist überhaupt das Stativ? Auch im Wohnmobil, genauso wie die festen Schuhe, ich wollte doch nur mal kurz rausschauen.

Jetzt gehe ich aber nicht zurück, denn irgendwas ändert sich gerade am Himmel in Richtung Norden, da wo der Polarstern ist. Der Himmel wird heller, ist nicht mehr so dunkel wie vorhin. Der Blick auf das Kameradisplay lässt mir den Mund offen stehen. Da, wo ich den Himmel nur einen Hauch heller vermutet habe, ist schwach aber deutlich grünes Licht auszumachen. Ich drücke den Auslöser, völlig schwachsinnig, 13 sec. freihändig. Das Bild ist eine einzige Matschepampe, völlig unscharf, verwackelt, aber mit Farbe! Aha, das ist jetzt also mein erstes Polarlichtfoto. Gottseidank bin ich alleine, ich könnte im Boden versinken. Wie peinlich ist das denn! Es ist halt nur der Beweis, das Polarlicht ist da. Ich sehe es zwar noch immer nicht, aber immerhin.

Der Himmel am nördlichen Horizont wird ein Stückchen heller. Ist es jetzt Wunschdenken, Einbildung oder hat sich das Auge an die Dunkelheit angepasst, das ist doch grün, was da schimmert. So jetzt zum Wohnmobil zurück, Kopflampe aufsetzen, Schuhe anziehen und Stativ raus holen? Nee, ich bleibe hier, jetzt will ich es sehen und nichts verpassen. Ich versuche zu optimieren. Verschlusszeit runter auf 4 sec., ISO hoch und nochmal die Blende überprüfen. Ich drehe aber erstmal am Focusring und der stand nicht auf unendlich. Aha, Matschepampe, da verstellt man doch in der Dunkelheit versehentlich den Focus. Ich erinnere mich an den Tipp, den Focusring mit einem kleinen Tapestreifen zu fixieren. Habe ich aber gerade nicht zur Hand.

Ich vertraue auf die Verwackelungskorrektur der Kamera. Das Licht am Himmel wird heller und grüner. Meine Bilder werden schärfer, zumindest der Schattenriss der Bäume am Horizont und auf dem Kameradisplay. Da tut sich schon das nächste Problem auf. Wie wähle ich überhaupt den Bildausschnitt? Ehrlich, mehr als ein paar grüne Flecken kann ich auf dem kleinen Bildschirm der Kamera nicht erkennen. Ja, die digitale Wasserwaage hilft enorm, aber vom Vordergrund sehe ich eigentlich gar nichts. Irgendwie konnte man das Display doch heller machen. Ich weiß es einfach nicht mehr. Oder ging das mit der Belichtungssimulation? Ich halte die Kamera einfach gen Himmel, so aus der Hüfte geschossen. Ich vertraue auf 24 mm Weitwinkel.

Ich besinne mich auf das Beobachten. Ja, das dürfte eindeutig Polarlicht sein, ein bisschen mager das Ganze aber eben doch Polarlicht. Plopp, jetzt ist es wieder weg. Als wenn einer den Schalter umgedreht hat. Ich sehe nichts mehr. Also gut, ich gehe zurück zum Wohnmobil, mal sehen, was aus den RAW-Dateien so rauskommen wird. Der Rückweg geht ohne Taschenlampe. Der vorhin fast schwarze Himmel leuchtet leicht. Die Stolperfallen auf dem Boden sind gut zu erkennen.

„Du musst raus, der Himmel ist ganz rosa!“ Die beste Ehefrau von Allen kniet auf dem Bett im Heck und streckt den Kopf durch die Dachluke des Wohnmobils. „Das ist unbeschreiblich, du musst raus!“ Ich habe gerade die Dateien von der Kamera runter geladen und die erste Sichtung ist ernüchternd. Jetzt soll es sich lohnen, noch einmal ins Kalte zu gehen? Ich schraube erstmal das richtige Objektiv drauf, vorhin war ja nur das Standardzoom dran. Der Blick aus der Tür wirkt wie der Kickdown beim Gaspedal im Auto. Ich werde plötzlich ganz schnell. So schnell, dass das Stativ mal wieder da bleibt wo es ist.

Das ist jetzt aber mal was ganz anderes. Ich kann neben Grün auch Rosa sehen. Vielleicht ist es auch Pink, ist mir aber auch egal. Das Licht wird schwächer. Ich strapaziere zwar noch den Auslöser, aber ich bin zu spät.

Schlimmer hätte es kaum laufen können, so fototechnisch gesehen. Trotzdem, der Adrenalinspiegel ist gerade dabei durch die Schädeldecke zu schießen. Der neue Tag hat bereits begonnen, an Schlaf ist erstmal nicht zu denken. Das war es also, das Erlebnis des ersten Polarlichts, und schon Ende August und ca. 540 km südlich des Polarkreises. Das große Licht war es nicht, magisch war es allemal.

Der weitere Weg führt jetzt zwangsläufig ins digitale Fotolabor. Die RAW-Dateien harren der Entwicklung. Die Bilder sehen irgendwie anders aus, als vorhin auf dem Kameradisplay. Ich erinnere mich: Die Fotos werden im Display der Kamera als bearbeitetes JPG ausgegeben. Also bearbeitet von der Kamera nach welcher Vorgabe auch immer. Jetzt in Lightroom gibt’s nur die Rohware und damit tut sich das nächste Dilemma auf. Wie weit darf man an den Reglern drehen? Das ist natürlich irgendwie Geschmackssache. Aber irgendwann kommt die Frage auf, ist das noch das Foto von dem, was da war? Da schlägt doch die Subjektivität der eigenen Wahrnehmung voll zu. Die Farben, die die Bildbearbeitung heraus kitzelt, sie waren da. Das eigene Auge war nur nicht in der Lage, sie in ihrer vollen Intensität wahrzunehmen. Womit sich die Frage stellt, was soll ein Foto darstellen?

Ich kann diese Frage hier nicht beantworten. Schon gar nicht in dem ich zwei Fotos dieser Nacht hier zeige. Sie sind nur das Ergebnis der ersten Gehversuche in Sachen Nordlichter und über eine Bewertung will ich überhaupt nicht nachdenken.

Eines hat die Nacht allerdings bewirkt. Die Jagd nach dem Nordlicht kann süchtig machen und dieser Sucht werde ich mich in den kommenden Wochen noch ein wenig hingeben.

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2 Kommentare
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Lieber Lutz, vielen Dank für diesen authentischen Bericht, der einen die Tücken und Freuden der Polarlichtfotografie super miterleben lässt. Viel Erfolg für die weitere Jagt, ich freu mich auf die weiteren Bilder.

Dein Bericht ist super, ja geh auf die Pirsch nach Polarlichtern.
Apropos Stativ und Bildstabilisierung, in den Handbüchern zu meiner Kamera steht, dass ich die Stabilisierung ausschalten soll, wenn ich das Stativ einsetze, sonst verwackelt die Stabilisierung das Bild auf der Suche nach Wacklern. Ich weiß nicht, ob das allgemeingültig ist. Ausprobieren und her mit den Polarlichtern 🙂